REDEBEITRAG ZUR GEDENKVERANSTALTUNG AM 9. NOVEMBER

Im Folgenden dokumentieren wir einen Redebeitrag von Adrian Ben-Shlomo, stellvertrender Vorsitzender der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde Dortmund, den er anlässlich der der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November 2021 in Dortmund-Dorstfeld gehalten hat.

Sehr geehrte Anwesende,

83 Jahre ist es her, dass Synagogen in ganz Deutschland brannten, auch hier an Ort und Stelle. Diesen schrecklichen Tagen und den Opfern gedenken wir heute. Der Mob der Pogromnacht war der Vorbote des industriellen Massenmordes einige Jahre später. Nachbar*innen, örtliche SA-Gruppen, NSDAP Funktionäre zündeten Synagogen an, verwüsteten Wohnung und jüdische Geschäfte. Einige hunderte jüdische Personen wurden dabei ermordet. Kaum jemand schritt ein, die Feuerwehr schaute vielerorts zu. Und es war doch nur der Anfang. Die NSDAP habe im Mai 1945 7,5 Millionen Mitglieder gehabt, mehr als 10% aller Bürger*innen waren also von der Idee dieser Partei, heute würden wir wohl eher Terrororganisation sagen, überzeugt. Die große Mehrheit der Gesellschaft schaute zu, lief mit und unternahm nichts.

Antisemitsmus ist kein Phänomen das in dieser Zeit entstanden ist. Es gab ihn schon immer und gibt ihn auch heute, alte Stereotype werden neu aufgelegt und ich befürchte es wird ihn auch immer geben. Mal religiös motiviert, mal getarnt als sogenannte Israelkritik und manchmal ganz offen und unverblümt. Margot Friedländer, eine der wenigen verbliebenen Shoa-überlebenden hat vor wenigen Tagen ihren 100 Geburtstag gefeiert, sagte: „Ihr müsst vorsichtig sein, dass es nicht wieder geschieht”

Waren und sind wir Juden etwas “Fremdes” wann ist man angekommen in Deutschland? Wann ist man vollständig integriert? Nach zwei oder drei Generationen? Nach 1700 Jahren scheinbar noch immer nicht. Solange gibt es Juden im Gebiet des heutigen Deutschlands, damals gab es noch kaum Christen hier und auch kein Deutschland. Heute werden Stolpersteine als Erinnerung an Nachbar*innen die deportiert, vertrieben, ermordet wurden beschmiert. Männer mit Kippot, als Juden also öffentlich erkennbar, werden bespuckt und geschlagen. Ich werde gefragt, wie wir es unseren Kindern erklären, dass jüdische Einrichtungen u.a. von der Polizei geschützt werden müssen. Aber meine Antwort ist beschämend und macht mich traurig: Sie fragen gar nicht, weil Sie es anders gar nicht kennen.

Verbale und körperliche Angriffe auf Juden und Jüdinnen gehören zum Alltag vieler. Wir lassen uns jedoch nicht einschüchtern, wir werden hier bleiben und den Feinden der Demokratie die Stirn bieten. Was kann denn jede einzelne Person gegen Antisemitismus tun? Es gibt kein Patentrezept, aber dennoch viele Möglichkeiten aktiv zu werden. Ein wichtiger Punkt im Kampf gegen den Antisemitismus ist Bildungsarbeit, die über Antisemitismus aufklärt und für die vielen Facetten sensibilisiert. Auch Begegnungen mit Juden und Jüdinnen können dabei helfen, Vorurteile abzubauen.

Daneben ist es wichtig sich zu informieren und zu engagieren, aufmerksam zu sein und Haltung zu zeigen statt wegzuschauen. Mit ADIRA hat die Jüdische Gemeinde Dortmund zudem eine Anlauf- und Beratungsstelle, die Betroffene unterstützt und im Umgang mit antisemitischen Vorfällen zur Seite steht. Das Begegnungsprojekt „Meet a Jew“ vom Zentralrat der Juden ermöglich Begegnungen mit Jüdiinen und Juden. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Projekte und genug Möglichkeiten – wenn man nur möchte.

In jedem Umfeld, egal ob rechts, links, mitte, muslimisch, christlich oder sekulär, gibt es Antisemitismus, also auch in Ihrem und meinem erweiterten Umfeld! Und wir gemeinsam tragen die Verantwortung dafür, dem Antisemitismus und Rassismus jeder Art entgegen zu wirken und ihn zu bekämpfen. Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert und dass jüdisches Leben weiterhin gestärkt wird und blühen kann.

In Gedenken an die Vergangenheit, mit Blick in die Zukunft, werden Sie heute aktiv für unsere demokratische Gesellschaft! Am Israel Chai – Das Volk Israel lebt
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